Alle reden von der Liebe. Am schönsten kann man die Sehnsüchte unserer Zeit beim Kurznachrichtendienst Twitter verfolgen. Aber was sagt das Bedürfnis, sein Herz auszuschütten über uns, und wie kommen wir da wieder raus? Eine Tweet-Show über die Sprache der Liebe in Zeiten der Echtzeit-Kommunikation.
Von Sebastian Dörfler
Wenn alle über die Liebe reden – in Filmen, Romanen, Ratgebern, Gesprächen, Texten – ist das ein sicheres Zeichen für ihre Abwesenheit. „Sprache erwächst aus Abwesenheit“, schrieb schon Roland Barthes in seinem Buch „Fragmente einer Sprache der Liebe“. Wenn die Liebe also überall zu sein scheint, ist sie immer auch nirgends.
Da schon immer viel über die Liebe geredet wurde, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie noch nie so richtig präsent war. Liebe definiert sich vor allem durch ihre Flüchtigkeit, durch ein unsicheres Zeichensystem.
Nirgends kann man dieses Zeichensystem schöner beobachten, als beim Kurznachrichtendienst Twitter. Der allseits beliebte Linkverteiler ist längst auch Emokanal Nummer Eins geworden. Überall finden sich hier die Symbole der Intimitätssuchenden: #hach und<3.
Dass man der Liebe dort soviele Zeichen widmet, hat einen Grund. Vielleicht lässt sich in 140 Zeichen jene Entwicklung am besten kompensieren, die der Soziologe Sven Hillenkamp in seinem Buch „Das Ende der Liebe“ beschrieben hat.
Wir sind so freie Menschen wie nie zu vor, heißt es da. Und gleichzeitig so überfordert, weil wir das Versprechen der totalen Selbstverwirklichung nicht einlösen können. Wenn etwas nicht klappt, versinken wir in Selbst-Zweifeln – woran sollte es auch liegen, wenn nicht an uns? Die Liebe muss all das kompensieren. Von ihr verlangen wir „Entgrenzung und Geborgenheit, Herausforderung und Bequemlichkeit“. Am besten alles gleichzeitig.
Wir haben die Liebe viel nötiger als früher, schreibt deshalb auch Antje Schrupp. Weil die Liebe „die einzige menschliche Beziehungsform ist, die noch verlässlich Zugehörigkeit schafft, einen Ort für die Individuen, in denen sie sich ‘zuhause’ fühlen, losgelöst von ihrer Funktionalität und Leistungsbereitschaft, ihrer Performance und Bewertbarkeit.“ Die Liebe „ist heutzutage der einzige legitime und aktzeptierte Grund, sich an andere Menschen zu binden.“
Die Liebe ist die Oase der Leistungsgesellschaft. Auch wenn sie gefunden ist, muss sie ständig vergegenwärtigt werden, damit sie nicht sofort wieder verschwindet. Vielleicht ist das das neue an der Sprache der Liebe: „Liebe“ ist heute die permanente Kommunikation.
Dank der Entgrenzung der Liebe hat das private Glücksversprechen andere Faktoren, die unser Leben zeichnen, fast vollständig verdrängt.
Vielleicht gibt es Auswege aus dem System Liebe deshalb nur noch in Momenten. „Manchmal erwache ich blitzartig“, schreibt Roland Barthes, „fern meiner ganzen kleinen, gewohnten Welt steigt urplötzlich ein machtvoller Satz in mir auf: ‘Aber was schwatze ich denn da?’ Es ist die Liebe, die dann entwirklicht erscheint.“
Niemand will die Liebe entwirklichen. Nur ab und an mal aus der eigenen, kleinen Welt hochschrecken und den Blick wieder nach draußen richten – das wäre sowas von …<3.