Ob Weblogs, Facebook oder Twitter: Im Internet teilen viele Menschen private Erlebnisse. Für die einen ist es ein Ort des ungebremsten Exhibitionismus, für die anderen ist es ein Ort für Reflexion, Austausch und Nähe. “Alles, was ich bislang gegeben habe, habe ich auch zurückbekommen”, sagt Anke Gröner, eine der bekanntesten Bloggerinnen Deutschlands.
Von Kathrin Klette

"Anderen beim Leben zugucken": Für die Bloggerin Anke Gröner birgt das Internet viel Potenzial - Foto: Frîa Hagen
Es war kein guter Tag, als Anke Gröner ihren ersten persönlichen Blogeintrag schrieb. „Ich kann einfach nicht schnell genug vor mir wegrennen. Ich hole mich immer wieder ein“, schrieb sie am 11. November 2002. Der Text handelte von Einsamkeit, Verzweiflung und dem Gefühl, das Leben nicht auf die Reihe zu kriegen.
Anke Gröner ist 42 Jahre alt, wohnt in Hamburg und arbeitet als Werbetexterin. Schon seit langem ist sie eine der bekanntesten Bloggerinnen Deutschlands; etwa 1500 Leute lesen bei ihr täglich mit. Dieser Tage erscheint ihr erstes Buch. In ihrem Weblog “ankegroener.de” steht ihre Adresse, auf ihrem Twitter-Account ist ein kleines Foto von ihr zu sehen. Es zeigt eine lachende Frau mit Hornbrille und Basecap, die die rechte Hand in Richtung der Kamera hält. Sie ist erkennbar, sie macht sich angreifbar. „Ich glaube erst mal an das Gute im Menschen“, sagt Gröner, „und alles, was ich bislang gegeben habe, habe ich auch zurückbekommen.“
Anderen beim Leben zugucken
2001 begann sie, US-amerikanische Blogs zu lesen. Sie war begeistert von der Fülle an Geschichten, die sie entdeckte. Sie las Texte über Menschen, die sie nicht kannte und die ein Leben führten, das nichts mit ihrem eigenen zu tun hatte. Texte alleinerziehender Mütter, Tagebücher von Amerikanerinnen, literarische Blogs. “Ich gucke einfach anderen gerne beim Leben zu”, sagt Gröner.
Im Januar 2002 eröffnete sie dann ihr eigenes Blog. Zuerst schrieb sie Filmkritiken, bald folgten Texte über Privates, das Essen, Golfspielen und darüber, was es für sie bedeutet, dick zu sein. „Blog like nobody’s watching“, heißt der Untertitel ihres Blogs – blogge, als ob dir niemand zuschaut. „Irgendwann habe ich nicht mehr darüber nachgedacht“, sagt sie.
Was ist eigentlich privat? Knutsch-Fotos, Urlaubserlebnisse oder das Geständnis eines Burn-Outs? Durch Weblogs und Social-Media-Dienste wie Facebook und Twitter scheinen sich die Einstellungen der Gesellschaft über das, was man mit anderen Menschen teilen kann und will, zu verändern. „Ihre Privatsphäre verschwindet, finden Sie sich damit ab“, sagte Leonard Kleinrock, der 1969 die erste Internetverbindung legte, der „Süddeutschen Zeitung“. Besorgte Eltern raten ihrem pubertierenden Nachwuchs, nicht allzu leichtfertig Partyfotos ins Internet zu stellen.
Nackt in der Sauna
Der US-Professor und Internet-Pionier Jeff Jarvis ist einer der Verfechter von mehr Öffentlichkeit in der Gesellschaft. 2009 schrieb er in seinem Blog „Buzzmachine“, dass er an Prostatakrebs erkrankt sei. „Wenn ich irgendwelche Zweifel an radikaler Transparenz gehabt hätte, wären sie in Sekunden zerstreut worden. Hunderte Tweets und Kommentare trudelten […] ein und wünschten mir Glück, gaben mir Ratschläge und machten Witze“, schrieb er im „Guardian“.
Ein Leser habe Jarvis gesagt, dass er durch seinen Post zur Vorsorgeuntersuchung gegangen sei. Wenn diese neue Öffentlichkeit im Netz dazu dienen kann, näher zusammenzurücken und sich zu helfen – hier ist es gelungen. Auf der Netzkultur-Konferenz „Republica“ in Berlin sagte Jarvis 2010, er finde es viel merkwürdiger, dass die Deutschen keine Scham hätten, mit fremden Menschen nackt in eine Sauna zu gehen.
Beleidigende Kommentare und Mails
Sicher, das Internet hat auch seine dunklen Bereiche. Es gibt die Nörgler, die Querulanten, die Hetzer. „Das Netz hat die Fähigkeit, sowohl das Gute als auch das Schlechte des Menschen zu potenzieren“, sagt Gröner. Sie selbst hat das in den Jahren ihres Bloggens erlebt, sie bekam beleidigende Kommentare und Mails. „Du blöde Feministinnen-Kuh“ schrieb ihr jemand, als sie sich in einem Artikel über einen Postboten geärgert hatte. Als sie über einen Tag schrieb, an dem alles schief gelaufen war, hieß es, das seien doch Luxusprobleme; in Afrika sei das Leben viel schlimmer. Manche Kritik hat sie selbstbewusster gemacht, sagt sie heute.
Inzwischen hat Gröner die Kommentarfunktion in ihrem Blog geschlossen; wer ihr etwas mitteilen will, muss ihr eine Mail schreiben. Diese Grenze zu ziehen, zwischen sich und den Lesern, ist ihr wichtig. „Ich habe keine Lust, jede meiner Regungen mit den Lesern durchzukauen.“ Für Texte, die ihr wichtig sind, nimmt sie sich zwei bis drei Tage Zeit. Unüberlegt veröffentlicht sie nichts. Über Politik, Religion und Sexualität schreibt sie nicht. Dies wäre ihr zu privat. Auch über ihren Job wird man bei ihr nichts lesen.
Digitales Leben wird real
Die Verzahnung von digitalem und realem Leben – bei manchen Bloggern hat sie längst stattgefunden. Wenn die 42-Jährige im realen Leben jemanden trifft, dessen Blogposts oder Tweets sie schon lange liest, gibt es selten Überraschungen. „Ich weiß, wer vor mir steht“, sagt sie. Von ihren Freunden hat sie inzwischen mehr im digitalen Leben kennengelernt als auf Partys, wo man nur zufällig auf Leute trifft, von denen man noch gar nichts weiß.
Über das eigene Leben zu schreiben und anderen beim Leben zuzugucken – hört man Anke Gröner zu, glaubt man, dass das Internet die Menschen wirklich einander näher bringen kann. „Es kann nie schlecht sein, etwas über andere zu erfahren“, sagt sie. Man lernt sich kennen und verstehen und kann Rückhalt und Verständnis erfahren. Plötzlich ist man dichter dran – an den Menschen und ihrem Leben.